Versicherung gegen Extremwetter – DW – 20.06.2024
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Versicherung gegen Extremwetter

20. Juni 2024

Immer häufiger entstehen immer größere Schäden durch Überschwemmungen oder Dürren. Versicherungen erhöhen deshalb ihre Prämien. Drohen künftig ganze Regionen nicht mehr versicherbar zu sein?

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Auf einer Straße in Baden-Württemberg liegt ein durch ein Hochwasser umgestürztes Auto auf dem Dach
Durch Extremwetter drohen künftig immer größere SchädenBild: Bernd Weißbrod/dpa/picture alliance

"Grundsätzlich muss bei steigenden Schäden irgendjemand diese Schäden bezahlen", sagt Ernst Rauch, Klimaexperte der Rückversicherung Munich Re. Entweder die Versicherung, der Staat oder derjenige, der den Schaden erlitten hat.

Dabei ist die Logik einer Versicherung: Ganz viele versichern sich, wenige erleiden einen Schaden und der wird dann erstattet. Wenn nun aber nicht mehr wenige den Schaden erleiden, sondern immer mehr Menschen, dann wird die Versicherung dieses höhere Risiko an die Versicherungsnehmer weitergegeben. Sprich: Die Versicherungsprämien steigen. Denn für eine Versicherung ergibt es nur Sinn, Versicherungsleistungen anzubieten, wenn sie damit Gewinn macht.

Weil schon in der Vergangenheit manche extremen Ereignisse die Kräfte von Versicherungen überstiegen haben, versichern sie sich selbst bei sogenannten Rückversicherern. Einer der größten Rückversicherungen ist die MunichRe. Sie erforscht im eigenen Geschäftsinteresse seit rund 50 Jahren die Auswirkungen des Klimawandels.

Deutschland | 100 Tage nach der Flut im Ahrtal | Dernau
Nicht jeder von der Flut im Ahrtal 2021 Betroffene war gegen diese Art Schäden versichert: Der Staat sprang ein und griff vielen unter die ArmeBild: Boris Roessler/dpa/picture alliance

Einige Versicherungen haben sich schon zurückgezogen

Was aber, wenn die klimabedingten Risiken so hoch werden, dass die Versicherer bestimmte Gebiete gar nicht mehr versichern wollen? Beziehungsweise diese die Prämien derart erhöhen müssten, dass keiner mehr bereit ist, sie zu zahlen?

In Kalifornien hat sich bereits eins der größten Versicherungsunternehmen, State Farm, aus dem Geschäft zurückgezogen. Als Gründe nannte das Unternehmen das schnell wachsende Katstrophenrisiko, hohe Kosten beim Bauen und einen schwierigen Rückversicherungsmarkt.

Während die Schäden für die Versicherungswirtschaft in Kalifornien in den letzten Jahrzehnten jährlich bei ein bis drei Milliarden Dollar gelegen hätten, würden sie inzwischen bei deutlich über zehn Milliarden liegen, erläutert Rauch. Das sei ein fast sprunghafter Anstieg.

USA Hitzewelle Wetter
"State Farm" will keine Versicherungen in Kalifornien mehr anbieten - unter anderem wegen der Hitzeperioden und den häufigen BrändenBild: California Department of Forestry and Fire Protection/AP Photo/picture alliance

100 Milliarden Dollar an Schäden

Nicht nur in Kalifornien führen häufigere Extremwetter zu immer höheren Schäden. Überschwemmungen, Stürme, Dürren und Brände, all das gibt es auch in Deutschland. Und wird es immer häufiger geben, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilt. Das bedeutet: Die dabei entstehenden Schäden drohen größer zu werden und immer mehr Menschen zu betreffen. 

"Die Höhe der versicherten Schäden aus Naturkatastrophen weltweit liegt inzwischen in der Größenordnung von etwa 100 Milliarden Dollar pro Jahr," sagt Ernst Rauch. "80 bis 90 Prozent dieser Schäden sind wetterbedingte Schäden." 

Schadenhöhe kann begrenzt werden

Dass die Schäden größer werden, liege nur zum Teil an den häufiger auftretenden Ereignissen. Haupttreiber seien sozioökonomische Faktoren, so der Experte. Gebäude und Infrastruktur werden höherwertiger, die Bevölkerung wächst und es wird weiterhin in besonders gefährdeten Gebieten gebaut, etwa in Küstengebieten oder in der Nähe von Flüssen.

Dabei fällt die tatsächliche Höhe der Schäden noch viel größer aus, denn nicht alles ist versichert. Weltweit seien deutlich weniger als die Hälfte der Naturgefahren überhaupt abgedeckt, so Rauch. Selbst in Deutschland seien beispielsweise nur etwa die Hälfte der Gebäude gegen Überschwemmung versichert.

Allein die Extremwetter durch die außergewöhnlich heißen und trockenen Sommer der vergangenen Jahre sowie die Hochwasserkatastrophe von 2021 haben in Deutschland Schäden von insgesamt über 80 Milliarden Euro verursacht, wie es vom Bundesumweltministerium heißt. Dabei wurden direkt anfallende Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen, Ertragsverluste in Forst- und Landwirtschaft ebenso berücksichtigt wie Kosten indirekter Schäden, beispielsweise eine verringerte Arbeitsproduktivität. Seitdem wird im Land darüber erneut diskutiert, ob und zu welchen Bedingungen Versicherer solche Schäden absichern müssen.


Hochwasser in Baden-Württemberg - Klaffenbach
"Wir erwarten versicherte Schäden in einer Größenordnung von etwa zwei Milliarden Euro", sagte Jörg Asmussen vom Gesamtverband der Versicherer zum jüngsten Hochwasser in Bayern und Baden-WürttembergBild: Marijan Murat/dpa/picture alliance

Höhe der Prämie muss an Risiken angepasst werden

Fragt man den Chef-Klimatologen von Munich Re, ob die Situation in Kalifornien einen Vorgeschmack darauf gibt, was den Deutschen eines Tages blüht, gibt er zu bedenken, dass State Farm nicht den Risiken entsprechend die Versicherungsprämien erhöhen konnte. Das erlauben die US-Aufsichtsbehörden, die Insurance Commissioner, nicht. Daher hätte sich State Farm aus dem Markt zurückziehen müssen, so Rauch.

Langfristig könne es aber schon sein, dass auch bei freier Preisgestaltung bestimmte Gegenden nicht mehr versichert würden, so Rauch. Kurz und mittelfristig, also in den nächsten fünf bis zehn Jahren, sehe er diese Gefahr nicht - kleinere regionale Gebiete ausgenommen.

Die gesamtwirtschaftlichen Kosten aufgrund des Klimawandels in Deutschland würden langfristig enorm steigen, so die Bundesregierung. Sie liegen, abhängig von der Intensität des Klimawandels, bis 2050 zwischen 280 und 900 Milliarden Euro. Dabei sind Auswirkungen durch Todesfälle, der Rückgang von Lebensqualität, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten oder die Folgen auf den Wasserhaushalt noch nicht einmal mit einbezogen.

Schaden-Prävention wird immer wichtiger

Neben der Begrenzung des Klimawandels ist Schadenprävention ein Schlüsselfaktor, wenn es um die Begrenzung der Kosten geht. Sie sei auch die wichtigste Maßnahme, wenn in Gebieten die Klimarisiken so hoch werden, dass Versicherungsunternehmen keine bezahlbaren Versicherungen mehr anbieten können, so Rauch. Im öffentlichen Bereich können da beispielsweise Deiche gebaut werden und Privatleute können ihre Öltanks sichern, ihre Kellerräume fliesen und darauf achten, dort keine wertvollen Gegenstände zu lagern.

Nach den großen Überschwemmungen, die es 2002 und 2013 entlang der großen Flüsse in Deutschland gab, sei der Hochwasserschutz dort deutlich verbessert worden, sagt Rauch. Ähnliche Maßnahmen müssten weltweit entlang von Küstenlinien durchgeführt werden. 

Städte in Zeiten des Klimawandels

Auch der Gesamtverband der Versicherer fordert: "Oberste Priorität sollten klimaangepasstes Planen, Bauen und Sanieren haben." Außerdem dürfte in Überschwemmungsgebieten nicht mehr gebaut werden, Flächen müssten entsiegelt werden. 

Keine Zeit zum Zögern

Zudem sei schnelles Handeln angesagt. "Wenn wir Prävention und Klimafolgenanpassung nicht konsequent umsetzen, könnte es in Deutschland nach unseren Schätzungen allein infolge der Klimaschäden innerhalb der nächsten zehn Jahre zu einer Verdopplung der Prämien für Wohngebäudeversicherungen kommen", warnte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Jörg Asmussen, schon vor einem Jahr.

Auch Europa ist zu langsam in Bezug auf Prävention, so die Europäische Umweltagentur (EUA) in ihrem ersten Bericht zur Europäischen Klimarisiko-Bewertung. Die europäischen und nationalen politischen Verantwortlichen müssten jetzt handeln, fordert Leena Ylä-Mononen, Exekutivdirektorin der EUA. Nur so könnten die Klimarisiken sowohl durch rasche Emissionssenkungen als auch durch entschlossene Anpassungsstrategien und -maßnahmen verringert werden. 

Freiwillige Retter helfen Menschen aus ihren Häusern in Porto Alegre
In der südbrasilianischen Großstadt Porto Alegre wurden durch das Hochwasser im Mai 2024 ganze Stadtviertel überflutetBild: Bruno Nagel Conrado/DW

 

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion