Richtungweisende Wahl in Frankreich sorgt für Hochspannung – DW – 30.06.2024
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PolitikFrankreich

Richtungweisende Wahl in Frankreich sorgt für Hochspannung

30. Juni 2024

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat alle mit der vorgezogenen Parlamentswahl überrascht. Nun startet die erste Runde der Wahl, die weitreichende Konsequenzen für die Machtverteilung im Land haben könnte.

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Warteschlange von Wählerinnen und Wählern in einer Sporthalle in Neukaledonien
Wahlberechtigte in Neukaledonien stehen in einem Wahllokal anBild: Delphine Mayeur/AFP

In Frankreich haben die Wahllokale für die erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahl ihre Türen geöffnet. In den französischen Überseegebieten hatte die Stimmabgabe wegen der Zeitverschiebung bereits am Samstagmittag (MESZ) begonnen, im übrigen Frankreich öffneten die Wahllokale am Sonntag um 8.00 Uhr. Sie sind meist bis 18 Uhr MESZ geöffnet, in großen Städten kann allerdings bis 20 Uhr gewählt werden. Dann wird mit ersten Prognosen gerechnet.

Rund 49 Millionen Wählerinnen und Wähler sind aufgerufen, die Abgeordneten der Nationalversammlung neu zu bestimmen. Die neue Zusammensetzung der 577 Sitze umfassenden Nationalversammlung wird erst nach der zweiten Wahlrunde in einer Woche feststehen.

Schlechte Aussichten für das Macron-Lager

Der französische Staatspräsident Emmanuel Macron hatte die Neuwahl überraschend nach der Wahlschlappe des Regierungslagers bei der Europawahl Anfang Juni ausgerufen. Er hofft, bei dem Votum seine relative Mehrheit in der Nationalversammlung auszubauen. Seine Erwartung, dass die Franzosen bei einer nationalen Wahl anders abstimmen würden als bei der EU-weiten Abstimmung, scheint sich aber nicht zu bestätigen.

Frankreich: Junge Leute machen Wahlkampf für den RN

Jüngste Meinungsumfragen deuten darauf hin, dass die rechtsnationalistische Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen die Wahl gewinnt. Ob es auch für eine absolute Mehrheit reichen könnte, ist unklar - auch, weil zwischen den beiden Wahlrunden oft lokal Bündnisse geschlossen werden, die den Ausgang beeinflussen.

Auf dem zweiten Platz in den Umfragen landet das neue links-grüne Wahlbündnis "Neue Volksfront". Es sieht zudem danach aus, dass das Regierungslager seine relative Mehrheit in der Nationalversammlung verliert. Bereits am Montagmittag empfängt Macron Premierminister Gabriel Attal und die übrigen Regierungsmitglieder im Pariser Elysée-Palast, um mit ihnen über die Folgen der Parlamentswahl zu sprechen.

Präsident Emmanuel Macron legt den Zeigefinger an den Mund
Hat er sich verkalkuliert? Präsident Emmanuel MacronBild: Dylan Martinez/Pool via AP/picture alliance

Beobachter erwarten, dass die Wahlbeteiligung wegen der Bedeutung der Wahl Rekordwerte erreicht. Dies dürfte dazu führen, dass mehrere Dutzend Kandidaten bereits in der ersten Runde gewählt werden. Vor der zweiten Runde am 7. Juli stellt sich dann die Frage, wie viele Kandidaten sich möglicherweise zurückziehen, um den Sieg eines RN-Kandidaten zu verhindern.

Marine Tondelier, Generalsekretärin der Partei Les Écologistes, setzt ihre Unterschrift in einem Wahllokal - ein Wahlhelfer sitzt ihr gegenüber
Marine Tondelier, Generalsekretärin der Partei Les Écologistes, gibt in Henin-Beaumont ihre Stimme abBild: Sameer Al-Doumy/AFP

Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Sollte ein anderer Block als Macrons Lager der Mitte die absolute Mehrheit erlangen, wäre Macron de facto gezwungen, einen Premier aus dessen Reihen zu ernennen, konkret den 28 Jahre alten RN-Vorsitzenden Jordan Bardella.

Es gäbe dann eine Art politische Zwangsehe, die sogenannte Kohabitation. Macrons Macht würde deutlich schrumpfen, der Premierminister würde wichtiger. Eine solche Konstellation könnte es der früheren RN-Parteichefin Marine Le Pen erleichtern, bei der Wahl im Jahr 2027 Staatspräsidentin zu werden.

Jordan Bardella im Portät - er lacht
Schafft Jordan Bardella den Sprung ins Amt des Premiers? Bild: Julien de Rosa/AFP

Steht eine Zeitenwende bevor?

Ein Sieg der Rechtsnationalisten bei der Parlamentswahl würde nach Ansicht von Politikexperten zugleich die größte Zäsur in Frankreich jüngerer Geschichte bedeuten. Die Partei hat manche früheren Positionen - etwa das Eintreten für den Austritt aus der Europäischen Union oder das Ende deutsch-französischer Rüstungsprojekte - abgemildert. Sie ist aber mit einem europa- und ausländerfeindlichen Programm in den Wahlkampf gezogen, in dem sich erhebliche Konfliktpunkte mit Macrons bisherigem Kurs abzeichnen.

Auch in Brüssel und Berlin wird die Wahl mit Spannung verfolgt. In Deutschland sorgt sich die Wirtschaft um die Folgen der Wahl, wenn die extreme Rechte oder die extreme Linke an die Macht gelangen sollte. "Bei der Analyse der wirtschaftspolitischen Ankündigungen der Rechten und der Linken kommen deutsche und französische Unternehmen zu demselben Schluss: Die Attraktivität Frankreichs würde darunter leiden", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, Patrick Brandmaier, in Paris.

kle/haz (afp, rtr, dpa)