Hass und Desinformation gegen Boxerin Imane Khelif – DW – 06.08.2024
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Hass und Desinformation gegen Boxerin Imane Khelif

6. August 2024

Imane Khelif greift bei den Olympischen Spielen in Paris nach Gold. Das befeuert die Gender-Debatte um die Algerierin auf Social Media. Mit der Wahrheit nehmen es dabei viele nicht so genau.

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Imane Khelif mit Boxhandschuhen während des olympischen Boxturniers in Paris
Die Diskussion über das olympische Startrecht der algerischen Boxerin Imane Khelif geht weiterBild: Blondet Eliot/ABACA/IMAGO

Die algerische Boxerin Imane Khelif sorgte am vergangenen Donnerstag (1. August) mit ihrem Sieg im Weltergewicht (Klasse bis 66 Kilogramm Körpergewicht) gegen die Italienerin Angela Carini weltweit für Schlagzeilen. Die Ringrichter erklärten Khelif zur Siegerin, nachdem Carini nach nur 46 Sekunden aufgegeben hatte, weil sie nach zwei Treffern auf die Nase nicht mehr gut Luft bekam.

Die meisten Schlagzeilen drehten sich jedoch nicht um den sportlichen Erfolg der Algerierin. Vielmehr setzte mit Khelifs Sieg eine Welle der Desinformation und hitziger Diskussionen über das Geschlecht der Athletin ein.

In den sozialen Medien verbreiteten einflussreiche Personen den Vorwurf, Khelif trete bei den Frauen an, obwohl sie ein Mann sei, und dass der Kampf am vergangenen Donnerstag deshalb ein unfaires Duell gewesen sei.

Zu jenen, die in dieses Horn stießen, gehörten zum einen Politikerinnen und Politiker wie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, der ehemalige US-Präsident und neuerliche republikanische Kandidat Donald Trumpund sein Vizepräsidentschaftskandidat James David Vance.

Zum anderen äußerten sich auch Aktive aus dem Sport wie die amerikanische Schwimmerin Riley Gainesund bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie die "Harry Potter"-Bestsellerautorin Joanne K. Rowling.

Screenshot vom X-Account der US-Schwimmerin Riley Gaines
Auch Aktive wie US-Schwimmerin Riley Gaines äußern sich zum Kampf zwischen Carini und Khelif Bild: Riley Gaines/X

Auch einige Medien wie die Website der britischen Zeitung Daily Mailoder Times Algebra aus Indien veröffentlichten Beiträge, in denen behauptet wurde, Khelif sei entweder transgender oder biologisch gesehen ein Mann. Obwohl es keine Beweise dafür gibt, dass Khelif eine Trans-Boxerin ist, werden in den sozialen Medien weiterhin hitzige Debatten darüber geführt.

Ein Blick auf die Zahlen und Suchbegriffe bei Google Trends zu Imane Khelif zeigt: "Störungen der Geschlechtsentwicklung", "XY-Chromosom" und "Imane Khelif Gender-Test" gehören nach wie vor zu den am meisten gesuchten Begriffen.

Auch in den Kommentaren von Nutzern zu Medien-Beiträgen über Khelifs anstehende weitere Kämpfe finden sich viele Hassreden und Desinformationen über die Boxerin.

"Mein Kind ist ein Mädchen"

Unter dem Hashtag #IStandWithAngelaCarini (Ich stehe an der Seite Angela Carinis) wurde vor allem die Behauptung verbreitet, die italienische Boxerin sei benachteiligt gewesen, weil sie gezwungen worden sei, gegen einen Mann zu kämpfen.

Aber nicht nur die Gegner Khelifs, sondern auch ihre Unterstützer sind den sozialen Medien aktiv - unter dem Hashtag #IStandWithImaneKhelif (Ich stehe an der Seite Imane Khelifs). Sie posteten Fotos, die angeblich Khelifs Weiblichkeit "beweisen" sollten, und teilten Fotos aus ihrer Kindheit, offizielle Dokumente und Interviews mit Mitgliedern ihrer Familie.

"Mein Kind ist ein Mädchen. Sie wurde als Mädchen aufgezogen", sagte ihr Vater Omar Khelif in einem kurzen Videoclip, den Sky News auf YouTube veröffentlichte. "Sie ist ein starkes Mädchen. Ich habe sie dazu erzogen, hart zu arbeiten und mutig zu sein. Sie hat einen starken Willen, zu arbeiten und zu trainieren."

Was die Sportfunktionäre sagen

Offizielle verschiedener Sportverbände haben sich ebenfalls zu Khelifs Verteidigung geäußert und Informationen geteilt, um Zweifel an ihrem weiblichen Geschlecht auszuräumen. Das Nationale Olympische Komitee Algeriens verurteilte die Anschuldigungen gegen die Boxerin umgehend scharf.

"Solche Angriffe sind völlig unethisch und unbegründet, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie sich auf den Höhepunkt ihrer sportlichen Karriere vorbereitet - die Olympischen Spiele", hieß es in einer Erklärung bereits am Tag ihres ersten Kampfes.

Auf Facebook ließ das algerische NOK zudem wissen, dass es eine offizielle Beschwerde beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) eingereicht habe, um gegen die Diffamierungen Khelifs im Internet vorzugehen.

Imane Khalif landet im Kampf gegen die Ungarin Luca Anna Hamori einen Treffer am Kopf
IOC-Chef Bach zu Debatte um Khelif (r.): "Beteiligen uns nicht an einem politisch motivierten Kulturkampf"Bild: Sina Schuldt/dpa/picture alliance

IOC-Präsident Thomas Bach nannte bei einer Pressekonferenz am 3. August die "Hassreden" gegen die Boxerinnen Imane Khelif und Lin Yu-ting - eine taiwanesische Boxerin, die mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert ist - "völlig inakzeptabel".

"Wie kann eine Person nicht als Frau betrachtet werden, wenn sie so geboren wurde, so aufgewachsen ist, so an Wettkämpfen teilgenommen hat und den Pass einer Frau besitzt?", fragte Bach und stellte für das IOC klar: "Wir werden uns nicht an einem politisch motivierten Kulturkampf beteiligen."

Desinformation über Khelif bleibt weit verbreitet

Doch selbst diese offiziellen Erklärungen haben die Debatte um Khelifs Geschlecht nicht beendet. Viele verweisen darauf, dass die International Boxing Association (IBA) Khelif bei der WM 2023 disqualifizierthatte. Der Verband ließ in einer Pressekonferenz am 5. Augustwissen, dass sowohl Khelif als auch Lin damals nach einem Chromosomen-Test ausgeschlossen worden seien.

Zur Zeit der WM hatte IBA-Präsident Umar Kremlev gegenüber der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASSerklärt, dass die DNA-Testergebnisse zeigten, dass mehrere Aktive im Frauen-Wettbewerb XY-Chromosomen aufwiesen.

Biologisch betrachtet haben die meisten Menschen mit weiblichem Geschlecht zwei X-Chromosomen und der überwiegende Anteil an Menschen mit männlichem Geschlecht ein X- und ein Y-Chromosom. Es gibt jedoch auch biologische Variationen, bei denen Menschen noch ein zusätzliches drittes X- oder Y- Chromosom tragen. 

IBA-Präsident Umar Kremlev bei einer Pressekonferenz
Der umstrittene IBA-Präsident Umar Kremlev kritisiert den Olympia-Start von Imane KhelifBild: Sondeep Shankar/Pacific Press/picture alliance

Das IOC bezeichnetedie von der IBA durchgeführten Geschlechtstests als unrechtmäßig und nicht glaubwürdig. Am 1. August erklärteder olympische Dachverband, er stehe zu den Athletinnen und ihrer Teilnahmeberechtigung an den Spielen in Paris.

Das IOC hatte 2023 dem von Russland dominierten Box-Weltverband IBA endgültig die olympischen Rechte entzogen, unter anderem wegen des Verdachts der Korruption sowie manipulierter Kampfurteile.

"Mobbing gegen Aktive unterlassen"

Khelif hat sich bislang nicht zu ihrem Geschlecht oder zu irgendwelchen Testergebnissen geäußert. Die Boxerin sprach jedoch über die psychische Belastung durch die andauernde Debatte um ihr Geschlecht.

In einem Interview mit dem Sender SNTV am 5. Augustdie Athletin die Menschen auf, "die olympischen Prinzipien und die olympische Charta hochzuhalten und das Mobbing gegen alle Aktiven zu unterlassen". Denn das könne massive Auswirkungen haben, so die Algerierin: "Es kann Menschen zerstören, es kann die Gedanken, den Geist und die Seele der Menschen töten. Es kann Menschen entzweien."

Am Dienstag gewann Khelif Im Halbfinale gegen Janjaem Suwannapheng aus Thailand deutlich mit 5:0 nach Punkten. Damit greift sie am Freitag nach der olympischen Goldmedaille. Auch die Taiwanesin Lin erreichte in ihrer Gewichtsklasse das Finale. 

Möchten Sie mehr darüber erfahren, wie Sie gefälschte Internet-Inhalte erkennen können? Sehen Sie sich unsere Artikel und Videos zu diesem Thema an.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert und am 7. August nach Khelifs Halbfinalkampf sowie am 8. August nach Lins Erfolg im Halbfinale aktualisiert.

DW Mitarbeiterportrait | Rachel Baig
Rachel Baig Redakteurin und Moderatorin im DW-Faktencheck-Team, Medientrainerinrachel_baig