Eine Brandmauer gegen Rechtsextremismus in Berlin – DW – 02.02.2024
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Eine Brandmauer gegen Rechtsextremismus in Berlin

2. Februar 2024

Die Welle der Demonstrationen gegen rechten Hass und Rechtsextremismus in Deutschland hält an. Berlin erwartet für Samstag mehr als 100.000 Menschen. Was bedeutet diese bundesweite Bewegung?

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Zahlreiche Demonstranten stehen vor dem Reichstagsgebäude. Ein Demonstrant hält ein Transparent hoch, auf dem "Wir sind die Mehrheit" steht.
Demonstration gegen Rechtsextremismus vor dem Reichstagsgebäude in Berlin (Archiv)Bild: Jochen Eckel/picture alliance

Newroz Duman verweist auf München, Halle, Kassel und Hanau. Es sind Orte mörderischer rechtsextremer Anschläge in Deutschland, bei denen zwischen Juli 2016 und Februar 2020 insgesamt 22 Menschen ermordet und elf weitere verletzt wurden.

"München, Halle, Kassel und Hanau waren allesamt das Ergebnis eines Klimas der rassistischen Hetze und mit einer rechtsextremistischen Partei wie der AfD", sagt Duman der Deutschen Welle. Da seien Menschen "zu anderen erklärt" worden. Die AfD, so Duman, sei "lange verharmlost worden". Aber jeder der Täter dieser vier Verbrechen "war auf irgendeine Weise mit der AfD verbunden, hat sich Reden von AfD-Politikern reingezogen, hat sich von dieser Politik motiviert gefühlt, diese Taten durchzuführen". Duman, Traumapädagogin und Referentin in der politischen Bildungsarbeit, ist Sprecherin der "Initiative 19. Februar" Hanau.

Newroz Duman mit zurückgebundenem dunklem Haar trägt ein dunkelrotes Jacket während einer Rede.
Newroz Duman wird am Samstag sprechenBild: Jürgen Heinrich/imago images

Eigentlich ist sie derzeit sehr beschäftigt. Denn in gut zwei Wochen steht in der hessischen Kleinstadt mit Gedenken und einer Demonstration der vierte Jahrestag der Ermordung von neun Menschen in und vor zwei Shisha-Bars an. Menschen, die der rechtsextreme Täter für "nicht-weiß" oder "nicht-deutsch" hielt. Aber an diesem Samstagmittag will Duman in Berlin sein.

Demo gegen Rassismus vor dem Reichstag

Vor dem Reichstag wird sie bei einer großen Demonstration gegen Rechtsextremismus sprechen. Es wird die vielleicht größte Demo gegen Rassismus und Hass in der aktuellen Woge der Proteste. Ausgelöst wurde diese Welle durch das Medienkollektiv "Correctiv", das am 10. Januar ein im November 2023 stattgefundenes Treffen von Vertretern der Alternative für Deutschland (AfD), Rechtsextremisten, einigen CDU-Mitgliedern und Geschäftsleuten outete. Dabei ging es ganz offen um Massenabschiebungen aus Deutschland, um konkreten Rassismus. 

Seitdem gehen Millionen auf die Straße und erteilen rechtsextremem Denken eine Absage. In West- und Ostdeutschland, in Dörfern, Städten und Metropolen, junge und alte Menschen, Unionsklientel mit linken Punks. Und nun Berlin.

In Berlin sind für Samstag nach Polizeiangaben knapp zwei Dutzend Demonstrationen angemeldet. Manche Ankündigung ist umfangreicher als jene für die Demonstration "#WirSindDieBrandmauer", zu der das Bündnis "Hand in Hand" aufruft und wo auch Duman sprechen wird. Doch die geplante Menschenkette um das deutsche Parlament wird den Tag prägen. Die Veranstalter sprechen von einer "symbolischen Brandmauer, die unsere Demokratie und ein solidarisches Miteinander vor rechter Hetze schützt". Sie erwarten mindestens 100.000 Teilnehmende. 

Die Vielzahl der Demonstrationen, hunderte waren es seit Mitte Januar, überrascht Wissenschaftler und Politiker. Mehrfach ging es in der wichtigsten politischen Redeschlacht dieser Berliner Woche, der Kanzlerdebatte im Bundestag mit Beiträgen der Spitzenleute aller Lager, um das Signal der vielen Demos auf den Straßen, die Forderung nach einer Ausgrenzung des Rechtsextremismus.

Proteste als Befreiung und Weckruf

Der Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky von der Universität Siegen spricht auf Anfrage der Deutschen Welle von einer "starken pro-demokratischen Mobilisierung, die nicht auf die politische Sphäre beschränkt bleibt".

Deutschland Demo gegen Rechtsextremismus | München
Kürzlich auch in München: eine größere Protestaktion gegen RechtsextremismusBild: Johannes Simon/Getty Images

Drei Wochen nach den Enthüllungen der Correctiv-Leute legte das Meinungsforschungsinstitut "Rheingold" eine nach seinen Angaben repräsentative Studie vor. Demnach erleben viele Teilnehmende die Proteste gegen Rechtsextremismus als befreiend und "eine Art Weckruf". 29 Prozent der Befragten könnten sich demnach vorstellen, künftig wieder an solchen Demonstrationen teilzunehmen.

Viele der Befragten beschrieben laut Rheingold, wie sie durch die Enthüllungen über das völkisch-rechtsextreme Konzept der Massenabschiebungen aus Lethargie und einer "eher passiv-resignativen Stimmung gerissen" worden seien. Deutschland hat viele Probleme derzeit - die Sorge vor Fremdenhass und Gewalt vom äußersten rechten Rand ist nur eine davon. Die meisten Demonstrierenden hofften nun auf "eine Art große und konstante Bürgerwelle".

Aber was, wenn die Konstanz nicht gegeben sein wird? Dann, so Rheingold-Chef Stephan Grünewald, "kann es durchaus dazu kommen, dass die derzeitige Energie umkanalisiert wird und sich zunehmend gegen die Ampel richtet", die von Kanzler Olaf Scholz angeführte Koalition von SPD, Grünen und FDP. Auch der Protestforscher Daniel Mullis vom Peace Research Institut Frankfurt (PRIF) betonte dieser Tage den Druck auf die Bundesregierung. Das massive Aufstehen aus der Zivilgesellschaft heraus sei nicht hoch genug zu bewerten, betonte Mullis im Hessischen Rundfunk. Dabei komme es aber stark auf politische Entscheidungen an. Die Zivilgesellschaft allein könne das Problem nicht lösen.

Demos könnten Unentschlossene zur AfD treiben

Ob es zu Veränderungen im politischen Spektrum kommt? Lewandowsky sieht noch keine erkennbaren Verschiebungen bei parteipolitischen Sympathien. "Aktuelle Schwankungen bei Umfragen liegen immer noch im normalen statistischen Schwankungsbereich und sind nicht zwingend als Wirkung der Proteste zu sehen." Der Wissenschaftler hält es sogar für möglich, dass die Demos "negativ wirken und manche Unentschlossene zur AfD treiben können".

Eine Porträtaufnahme von Marcel Lewandowsky. Er trägt einen Bart und eine dunkle Hornbrille.
Marcel Lewandowsky, PolitologeBild: Joerg C. Jasper

Insofern warnt Lewandowsky davor, auf die Auswirkungen der Demos auf die nächsten Wahlen im Juni (Europawahl; Kommunalwahlen in acht Bundesländern) und September (Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg) zu setzen: "Wenn die Demonstrationen bis dahin wieder abebben, könnte ihr Effekt, sofern es einen gibt, verpuffen."

Die Zahl der einladenden Organisationen, die sich dem Aufruf zu #WirSindDieBrandmauer anschließen, steigt seit Ankündigung der Demo ständig. Am Donnerstagabend waren es über 1400. Darunter sind auch Verbände, die in den vergangenen Tagen betont auf die Bedeutung von Migranten für ihre Arbeit und für die gesamte Gesellschaft verwiesen.

Kritik aus migrantischen Kreisen

Große Unternehmen machten in Social Media oder in Inseraten deutlich, wie sehr sie auf Zuzug in den deutschen Arbeitsmarkt angewiesen seien. Denn die Drohungen des rechtsextremen Treffens, dieses völkische, ausgrenzende Denken, betrifft vor allem Menschen mit Migrationshintergrund. Auch diejenigen, deren Vorfahren nach Deutschland kamen und hier geboren wurden.

So werden voraussichtlich zahlreiche Migranten am Samstag demonstrieren. Große Verbände im Sozialbereich mit vielen migrantischen Mitarbeitenden registrieren nach eigenen Angaben eine ungewöhnlich rege Beteiligung zu dem Thema. Aus migrantischen Kreisen kommt aber auch die Kritik, dass es so lange gedauert hat, bis es zu solch großen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und Fremdenhass gekommen ist.

Kritik, für die der Politologe Lewandowsky Verständnis hat: "Seit jeher ist es ein Problem, dass wir meist über Migranten sprechen und dann eher in negativen Kontexten wie Flucht oder sozialen Problemen. Dass Migranten das angesichts der jetzigen Demonstrationswelle auch kritisieren, kann nicht überraschen."