Das harte Schicksal alleinerziehender Mütter in Afghanistan – DW – 17.06.2024
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Das harte Schicksal alleinerziehender Mütter in Afghanistan

17. Juni 2024

Viele alleinerziehende Frauen in Afghanistan kämpfen ums Überleben. Unter den Taliban haben sie kaum Rechte; viele sind der Willkür ihrer Verwandten ausgeliefert.

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Zwei verschleierte Frauen und ein verschleiertes Kind in einem Bekleidungsgeschäft
Systematischen Benachteiligung: alleinerziehende Frauen unter den TalibanBild: Ali Kaifee/DW

Fouzia ist alleinerziehende Mutter eines fünfjährigen Sohnes. Ihr Mann verließ sie nach der Machtübernahme der Taliban. Er hatte Angst und wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben. "Ich war Polizistin und Angestellte der nationalen Sicherheitskräfte", berichtet sie im Gespräch mit der DW und fügt hinzu: "Wir lebten in Kabul, als die Taliban kamen. Mein Mann verließ uns. Ich musste mich mit meinem Sohn verstecken. Seit über einem Jahr sind wir auf der Flucht. Alle paar Monate ziehen wir weiter und bleiben bei Verwandten."

Seit die Taliban wieder in Afghanistan an der Macht sind, wurden viele ehemalige Soldaten und Polizisten hingerichtet oder sind verschwunden. Für die Taliban gelten Sicherheitskräfte der früheren Regierung als Verräter. Ohne Gehalt muss Fouzia als Putzfrau arbeiten, um zu überleben. Einen anderen Job konnte sie nicht finden.

Afghanische Mädchen sehnen sich nach Schule

Fouzia ist verzweifelt, so wie viele andere alleinerziehende Frauen in Afghanistan. Und sie ist bereit, große Risiken einzugehen: "Ich überlege, meine Niere zu verkaufen. Ich möchte mit meinem Kind fliehen." Fouzias einziger Halt sind ihre Verwandten, die sie aber auch nicht mehr unterstützen können. Afghanistans Wirtschaft liegt am Boden.

Frauen leiden am meisten

Laut den Vereinten Nationen leben 97 Prozent der afghanischen Bevölkerung in Armut. Mit 23,7 Millionen von 40 Millionen Einwohnern sind über die Hälfte der Menschen in Afghanistan auf humanitäre Hilfe angewiesen. Sechs Millionen Menschen stehen gar am Rande einer Hungersnot - jeder siebte Mensch im Land.

Unter den Notleidenden sei eine Gruppe besonders groß: Alleinerziehende Mütter. Das sagt die Journalistin Azadah Shirzad aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. "Es gibt keine Statistiken über alleinerziehende Frauen. In den letzten zwei Jahren habe ich mit mindestens 50 alleinerziehenden Frauen gesprochen." Shirzad gehört zu den wenigen Journalistinnen in Kabul, die noch arbeiten, wenn auch mit Vorsicht und sehr eingeschränkt. Sie versuchen, den Frauen in Afghanistan eine Stimme zu geben. 

Zwar hatten die Taliban anfänglich versprochen, Frauenrechte im Rahmen der Scharia zu respektieren. In der Praxis aber haben sie seit ihrer Machtübernahme im August 2021 eine Fülle von Gesetzen und politischen Maßnahmen eingeführt, die Frauen und Mädchen im ganzen Land ihre Grundrechte verweigern - allein aufgrund ihres Geschlechts. Weibliche Angestellte wurden nach Hause geschickt; weiterführende Schulen für Mädchen geschlossen; Frauen wurde der Besuch von Universitäten untersagt.

Nach Angaben des UNO-Kinderhilfswerks Unicef werden seitdem 1,5 Millionen Mädchen und junge Frauen systematisch von ihrem Menschenrecht auf Bildung ausgeschlossen. Dadurch verschlechtern sich ihre beruflichen Chancen und ihre psychische Gesundheit. 

Tödliche Gefahr: UN warnen vor Landminen in Afghanistan

Angesichts dieser systematischen Benachteiligung ist das Leben für viele alleinerziehende Frauen knüppelhart. Unter den Taliban dürfen Frauen in der Öffentlichkeit nur unterwegs sein, wenn sie von einem männlichen Verwandten, einem Mahram, begleitet werden. Ohnehin dürfen sie das Haus nur zu dringenden Besorgungen und nur vollständig verschleiert verlassen. Alleinerziehende Frauen, die keinen Sohn zu Hause und keinen Bruder in der Nähe haben, können das Haus mithin kaum noch verlassen.

Kinder in Not werden ausgenutzt

"In der Hauptstadt Kabul können alleinerziehende Frauen immerhin noch heimlich arbeiten - als Küchenhilfe, Schneiderin, Friseurin oder Putzfrau", berichtet Journalistin Azadah Shirzad aus Kabul. Anders in kleineren Städten und Dörfern: "Dort, wo jeder jeden kennt und die Taliban alles unter Kontrolle haben, ist nicht einmal das möglich. Dort sind sie ihrer Familie und ihren Verwandten ausgeliefert und müssen sich fügen und unterordnen. Viele werden misshandelt und oft gezwungen, als zweite oder dritte Frau in einer arrangierten Ehe zu leben."

Ihre miserable wirtschaftliche Lage zwingt viele alleinerziehende Mütter, ihre Kinder zur Arbeit schicken. Vor allem Jungs müssen sehr früh Verantwortung übernehmen und Geld beschaffen. "Sie arbeiten als Straßenverkäufer, Schuhputzer oder auf Feldern außerhalb der Stadt", sagt Shirzad und betont weiter: "Diese Kinder werden ausgenutzt und oft auch sexuell missbraucht. Ihre Mütter haben aber keine andere Wahl, als sie zur Arbeit zu schicken."

Damit ist auch für viele Jungen, die nun gezwungen sind, ihre Familie finanziell zu unterstützen, die Schule nur noch ein ferner Traum.